Ich freue mich ja über (potentielle) Kunden - über alle, die wissen, was sie wollen, und über alle anderen, die das dann im besten Fall nach gründlicher Beratung auch wissen. Ich verstehe das Web als einen Raum mit Chancen, und ich verstehe diesen Raum grundsätzlich anders als den Platz auf einem Flugblatt, einem Plakat, einer Imagebroschüre. Und deshalb lohnt es sich, mal etwas genauer hinzuschauen, wenn es um die Unterschiede zwischen Webentwicklung und Webdesign geht.
Neulich hatte ich mal wieder so einen Anruf - und nachdem das Telefongespräch mit dem Kunden spannende Einsichten vermittelte finde ich es eine gute Idee, das Thema mal im Blog zu teilen. Am Anfang stand nämlich eine Irritation: Der Anrufer fragte, ob ich denn auch 'Webdesign' machen würde - Webentwicklung würde er nicht verstehen.
Nun erstelle ich Webseiten seit ungefähr 20 Jahren - damals in einer Zeit, in der niemand dieses neue Medium kannte und in der nur wenige Menschen eine Vorahnung davon hatten, wie sehr das Internet unser Leben verändern würde. Die Idee war ja schon damals da: durch Vernetzung von Informationen Wissen teilen und Zusammenarbeit über Grenzen hinweg ermöglichen. Die schlichte, von Tim Berners-Lee entwickelte Form basierte auf der Idee des Hypertextes (und er war nicht der Erste, der darauf kam).
Zu Anfang, in den 90ern des vergangenen Jahrtausends, war das Internet ein Informationsraum - aber schnell entstand der Wunsch, diesen Raum auch zu gestalten. Also wichtige Dinge hervorzuheben, aus der Textflut herauszuragen - ein ideales Feld für die Werbebranche, die das dann auch zügig besetzte und dabei bemüht war, für Druckwerke geltende Regeln auf Bildschirme zu übertragen. Da das neue Medium noch etwas sperrig war freuten sich die SchriftsetzerInnen über HTML3.2, dass Layout mit Hilfe von Tabellen ermöglichte. Sie freuten sich auch über die Möglichkeiten, mehrere Schriften einzubinden (gerne aus der Auswahl, die Microsoft mit Windows 95 mitlieferte). Kurz: das hätte gerne so weiter gehen können - Gestalterinnen und Gestalter nutzten Webseiten als eine Art Papier, das hintergrundbeleuchtet war.
Best viewed in Netscape Navigator
Aus dieser Zeit stammen dann auch viele Kernthesen des so genannten 'Webdesigns' - pixelgenau sollte es sein, feste Breiten (nichts macht einen Drucker nervöser als Papier, bei dem sich die Größe verändert), und da Layout damals angesichts diverser Browserschwächen eine ziemliche Kunst war, wollte man den Nutzerinnen und Nutzern gern auch das bevorzugte Arbeitsgerät nahebringen. 'Best viewed in Netscape Navigator' oder 'Optimiert für den Internet-Explorer' waren Kernsätze, die aus der Verzweifelung geboren waren.
Überhaupt die Designer - ein Branche, die gerne mal alles mit der Aura des Besonderen umgibt. Designerbrille, Designerklamotten, Designerflipflops. 'Form follows function' scheint da oft wenig zu zählen, aber das tut ja hier in epischer Breite nichts zur Sache. Was etwas zur Sache tut ist die Frage, ob man ein Medium verstanden hat. Und das ist ja genau der Punkt.
Das Web ist interaktiv. Informationen werden auf Geräten angezeigt, die verschiedene Fähigkeiten haben. Breite, Höhe, Farbtiefe sind nur ein paar Dimensionen davon. Ein Buch oder eine Zeitschrift nehme ich in die Hand und lese darin - die einzige Interaktionsmöglichkeit, die sich mir bietet, ist das Umblättern. Klassische One-way-Kommunikation: jemand schreibt etwas, es wird gedruckt, und ich kann es lesen. Wenn ich mit dem Autoren kommunizieren will, dann muss ich das Buch aus der Hand legen und vermutlich einen Brief schreiben.
Interaktiv. Für Benutzerinnen und Benutzer.
Webseiten können da mehr. Kontakt via Formular? Bitte. Einen Kommentar senden? Na klar. In einem Produktkatalog stöbern und dann den Artikel bestellen, der mir gefällt? Einige leben von diesem Geschäftsmodell prima. Weitere Sachen, die eine Webseite kann: sich den Wünschen des Benutzers anpassen - jedesmal und zur Laufzeit. Dem Kunden den Artikel anbieten, den er lesen möchte - das fesselt. Interaktion ermöglichen & mehr.
Und man kann das ganze auch gerätespezifisch anpassen. Auf einem Mobiltelefon möchte ein Kunde vielleicht nur die Kurzform - wie finde ich den Weg, wen kann ich anrufen? Die Unternehmenshistorie in epischer Breite? Wohl kaum. Auf dem Desktop möchte man vielleicht mehr große Bilder, bei denen ansonsten das halbe Monatsbudget des Mobilfunktarifs draufgeht. Es gibt tatsächlich Webseiten, bei denen die Mobile-Variante mal eben 60 MB durch die Leitung schiebt. Und warum? Weil niemand darüber nachgedacht hat, oder weil jemand bestimmt, dass die Seite überall gleich auszusehen hat.
Fazit.
So, und jetzt die Frage, was Webdesign von Webentwicklung unterscheidet - Design kümmert sich ums Aussehen, Entwicklung um die Funktion. Dass dabei kann auch etwas, das gut funktioniert, nett ausschauen kann ist ja hoffentlich klar - es kommt auf Fähigkeiten der Person an, die eine Webseiteentwickelt. Wenn Design eine Hülle ist, dann möchte ich keine Designerin sein.
Ich bin Entwicklerin, und ich entwickle Frontends für Geräte. Ich möchte Benutzerinnen und Benutzern eine Erfahrung vermitteln, von der mein Kunde profitiert - indem seine Kunden da abgeholt werden wo sie stehen. Mit 'Webdesign' ist das nur sehr schlecht zu umschreiben. Wenn man sich auf's Design beschränkt, dann hat man das Medium nicht verstanden - so einfach ist das. Webentwicklung ist im besten Fall dann Funktion plus Design.
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Kommentar von Peter Müller |
Danke für den anregenden Artikel. Du machst ja den Unterschied
Designer = Aussehen
Entwickler = Funktion
Wie wäre es, wenn man "Funktion" durch "Interaktion" ersetzt?
Das Problem, das viele Grafikdesigner mit Webdesign zumindest anfangs haben, ist ja, dass sie Webseiten immer noch als "Gemälde" betrachten und nicht verstehen, dass diese "benutzt" werden, dass ein Besucher also mit der Webseite interagiert. Und dass die Gestaltung nur eine von vielen Kriterien für den Erfolg einer Webseite, und oft nicht mal maßgeblich dafür. Inhalt, Performance, Navigation, Zugänglichkeit, Quelltextqualität, Interaktion mit Menschen und Maschinen. Sie unterschätzen die Komplexität einer Website.
Wenn gute Webentwicklung Funktion plus Design ist, dann ist gutes Webdesign Design plus Funktion. Das eine braucht das andere. Und sowohl Design als auch Funktion brauchen "Inhalt". Wozu baut man die Site sonst?
Antwort von Carolina Koehn
Interaktion ist doch eine Teilmenge von Funktion, oder nicht? Ansonsten gebe ich Dir uneeingeschränkt Recht. Es braucht beides.
Danke für's Feedback, Peter.
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