Arbeit und Ethik

Als ich anfing, selbständig im Netz zu arbeiten, war die Welt eine andere. Damals gab ich mir ein paar Grundregeln, wofür ich arbeiten wollte und wofür nicht - doch die Grenzen verschwimmen inzwischen.

Ich bin selbständige Webentwicklerin, und ich lebe davon, dass mich Firmen beauftragen, gemeinsam mit ihnen Probleme zu lösen und grossartige Produkte anbieten zu können. Diese Arbeit mache ich seit zwei Jahrzehnten, liebe meinen Job und bin insgesamt sehr glücklich darüber. Ich habe grossartige Kundinnen und Kunden, ich lerne an jedem Tag etwas Neues, und ich habe Spass am Entwickeln von Lösungen.

Als ich anfing, selbständig zu arbeiten, habe ich mir Gedanken darüber gemacht, welche Inhalte mir wichtig sind.Ich habe dann versucht, Dinge zu entwickeln, die meinen ganz persönlichen Werten entsprechen: Achtung und Respekt zu fördern, zur sinnvollen Weiterentwicklung der Gesellschaft beizutragen, Demokratie und Partizipation zu stärken. Ich habe beschlossen, nie für die Rüstungs- oder Atomindustrie zu arbeiten und nie dabei zu helfen, andere Menschen auszubeuten oder Hass zu säen. Lange bin ich damit sehr gut gefahren. Ich bin vielleicht eine Romantikerin - aber so ticke ich nun mal.

Die Grenzen verschwimmen

Immer öfter bekomme ich Anfragen, bei denen sich mir die Frage nach dem gesellschaftlichen Impact stellt. Ist es in Ordnung, für Kunden zu arbeiten, die mit Öko-Energie-Themen verdecken wollen, dass sie das ganz grosse Geld mit der Ausbeutung unserer Umwelt verdienen? Ist es richtig, Technologiefirmen zu unterstützen, die ihre KI-Techniken möglicherweise auch in Rüstungsgütern einsetzen könnten und dann letztlich mit Technologie beim Töten helfen? Kann ich alle Folgen abschätzen, wenn ich Webseiten und Applikationen für Startups im Finanzbereich entwickle, die möglicherweise irgendwann einmal ihr Geschäftsmodell mit Social Profiling optimieren werden und damit ganze Gruppen von gesellschaftlicher Teilhabe ausschliessen? Oder wie ist es mit Messtechnik und Computersteuerung in Geräten, die entwickelt wurden, um die Welt sauberer zu machen und nun dazu dienen, die Umweltverschmutzung zu verschleiern?

Lost?

Früher konnte ich relativ einfach einordnen, was meinen Prinzipien entsprach und was nicht. Man möchte sich an jedem Morgen im Spiegel anschauen können, man möchte keine schlaflosen Nächte damit verbringen, dass man über die Auswirkungen einer Arbeit nachgrübelt. Früher waren meine Kundinnen und Kunden immer die Guten, die Non-Profits, die Beratungsstellen oder die Technologieunternehmen, die saubere Energie ermöglichten.

Heute funktioniert diese einfache Einordnung für mich nicht mehr, denn inzwischen sind Technologien komplexer, Anwendungen vernetzter und Auswirkungen unübersehbarer. Ich persönlich habe den Eindruck, dass diese Komplexität mein Modell von 'etwas Gutes tun' längst überrollt hat. Es ist zerschellt zwischen Globalisierung und Technikfolgenabschätzung, zwischen der Begeisterung für revolutionäre Technik und dem ubiquitären Missbrauch.

Die Tools, die wir früher zur Teilhabe entwickelten, werden heute von Rassisten für die Verbreitung von Hass genutzt. Anwendungen, die unsere Arbeit smarter machen sollten, werden heute benutzt, um Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen auszubeuten.

Eine Frage der Ethik?

Ich bin mir nicht sicher, wohin mich diese Gedanken, die Bemerkungen führen werden. Ich bin mir allerdings sehr sicher, dass mir und uns allen der Kompass verloren geht. In einer komplexeren Welt scheinen Ethik und Wertvorstellungen nur noch scheinbar vorhanden zu sein, und die Leitlinien, die uns bisher zur Orientierung dienten, führen nun möglicherweise in die Irre.

Damit fühle ich mich sehr unwohl, und ich bin damit nicht allein.

Ich bin mir aber sicher: Es sind wir, die unsere Leitlinien weiterentwickeln müssen, denn es sind wir als Entwicklerinnen und Entwickler, die wenigstens einen grösseren Teil der Folgen abschätzen können. Wir können im Rahmen unseres Blicks auf Technologien, mit denen wir tagtäglich arbeiten, mindestens eine Idee davon haben, welche Auswirkungen unsere Arbeiten innerhalb der digitalen Transformationen haben können.

Und wir haben die Verantwortung dafür, dass wir unsere Einblicksmöglichkeiten auch nutzen.

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